Im Namen einer höheren Macht? Rituelle Gewalt

Vortrag von Adelheid Herrmann-Pfandt

29.09.2019, Nachmittag

Im Namen einer höheren Macht? Rituelle Gewalt im Fokus religionswissenschaftlicher Forschung

 

Kaiserin-Friedrich-Stiftung, Berlin, Hörsaal

Veranstalter: Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung

Rituelle Gewalt ist eine Form oft gemeinschaftlich begangener gewaltsamer Übergriffe auf Erwach­sene und Kinder, die sich nicht auf sexualisierte Gewalt beschränkt, sondern darüber hinaus extreme Formen psychischer und physischer Folter sowie rituelle Tötungen (Menschenopfer) mit einschließt. Rituelle Gewalt ist eine Form der organisierten Kriminalität. Sie wird häufig in Familien ausgeübt, die seit mehreren Generationen die Gewaltrituale weitervererbt und mit perfiden Methoden immer mehr „perfektioniert“ haben. Trotz der Allgegenwart religiös motivierter Gewalt in unserer Wirklichkeit (Terrorismus, Selbstmordattentate, Sekten usw.) können viele Menschen sich nicht vorstellen, daß auch Rituelle Gewalt als genuin religiöses Phänomen vorkommt. Tatsache ist aber, daß Überlebende oft von religiösen Elementen erzählen, in die die Verbrechen der Täter eingebunden werden, wie etwa Musik, Tanz, Kerzen, magische Kreise und Symbole, ritueller Drogengebrauch, Opferrituale, Kannibalismus, veränderte Bewußtseinszustände oder Kreuze als Folterinstrumente. Aus Überlebendenberichten ist auch zu entnehmen, daß die Traumatisierung von Kindern ungleich verheerender ist und tiefer geht, wenn sie im Namen Gottes, Satans oder sonst einer höheren Macht geschieht. Wir erfahren, daß es neben Tätern, die die Religion nur als „Kick“ benutzen, auch solche gibt, die wirklich an die spirituelle Dimension ihres verbrecherischen Tuns glauben und daraus ihre Motivation ziehen, so absurd das klingt. Und wir lernen aus den Aussagen von Überlebenden schließlich auch, daß der Ausstieg für sie viel schwieriger wird, wenn sie selbst sich in der Religion der Täter verfangen haben und von ihr abhängig fühlen.
Prof. Dr. Adelheid Herrmann-Pfandt forscht und lehrt im Fachgebiet Religionswissenschaft an der Philipps-Universität Marburg. Ursprünglich in der Indien- und Tibetforschung tätig, hat sie sich seit bald 25 Jahren wissenschaftlich mit dem Phänomen der Rituellen Gewalt beschäftigt und ein Buch über Menschenopfer in Geschichte und Gegenwart geschrieben, das demnächst erscheint. Bereits vorliegende Ergebnisse ihres noch laufenden Forschungsprojektes zur Rituellen Gewalt, namentlich aus Überlebendenbefragungen, werden in den Vortrag einfließen.